The winning entry has been announced in this pair.There were 13 entries submitted in this pair during the submission phase, 3 of which were selected by peers to advance to the finals round. The winning entry was determined based on finals round voting by peers.Competition in this pair is now closed. |
Schließlich war ihr Mann es leid, gut mit ihr auszukommen und suchte sich dafür jemand anderes. In den ersten Tagen empfand Ofelia die Einsamkeit wie einen Dolchstoß. Das Herz tat ihr so weh, dass sie mal hochrot, mal leichenblass durchs Haus lief. [...] Den einen Tag wechselte sie die Bilder an den Wänden aus, am nächsten verschenkte sie die aus der Mode gekommenen Esszimmerstühle, die doch mal so modern gewesen waren. [...]. Zu guter Letzt zog sie gegen ihr Wohnzimmer zu Felde, überzeugt davon, dass die Sitzgarnitur unbedingt einen neuen Bezug benötigte. Zum gleichen Zeitpunkt wie der Polsterer trafen auch die offiziellen Scheidungspapiere bei ihr ein. Ofelia legte sie beiseite, um über greifbarere Dinge nachzudenken als den Verlust der Liebe in neun Buchstaben. Auf der Suche nach einer anderen Farbe durchblätterte sie einen Katalog. Nachdem sie sich für Hellgrün entschieden hatte, rief der Polsterer zwei Assistenten herbei, damit sie die Möbel zur Werkstatt schafften. [...] Ofelia sah ihnen nach und folgte mit dem Blick der Spur der vielen kleinen Dinge, die aus den Zwischenräumen der Sofapolster herausfielen – ein Knopf, zwei Stecknadeln, ein Federhalter, der schon lange nicht mehr schrieb, ein Schlüsselbund, dessen Herkunft sie sich nicht erklären konnte, die Eintrittskarte für die Kunstakademie, die sie nicht hatten finden können und weshalb sie zu spät zur Vorstellung gekommen waren, das Endstück eines Brillengestells, zwei Mandeln, die mal zu einer Vorspeise gehört hatten, und ein kleines, quadratisch gefaltetes, rosarotes Stück Papier. Letzteres hob Ofelia genauso gelassen auf wie all das andere Zeug. Sie öffnete das Papier. In großen und undeutlich geschriebenen Buchstaben verfasst, enthielt es die folgende Nachricht: „Liebling, du mußt tun, was du willst, was du am liebsten tun möchtesd. Mach das, was du für dich entscheidesd, was du für das Beste hälst. Mach, was deiner Meinung nach am besten für alle ist.“ „Mußt?“, entfuhr es Ofelia mit lauter Stimme. Ihr Mann hatte sie für eine Frau verlassen, die „mußt“ anstelle von „musst“ schrieb? Eine, die die zweite Person Singular eines Verbes auf „d“ und nicht auf „t“ enden lässt? Eine, die nicht weiß, dass „hältst“ nichts mit einem Hals sondern mit Halten zu tun hat? Die Orthografie ist eine subtile Art der Eleganz der Seele. Wer sie nicht hat, dem kann es egal sein, wo er lebt. Auf dem Formular, das sie unterzeichnen sollte, wurde als Grund für die Scheidung die Unvereinbarkeit des Charakters der Eheleute angegeben. „Wie wahr“, dachte sie, „Orthografie ist Charakter“. Und unterschrieb. | Entry #6605 Winner
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Ihr Ehemann hatte es schließlich satt, mit ihr auszukommen, und ging weg, um mit jemand anderem auszukommen. In den ersten Tagen fühlte Ofelia die Einsamkeit wie eine scharfe Klinge, und sie verfiel in so starkes Selbstmitleid, dass sie in ihrer Wohnung mal mit gerötetem, mal mit blassem Gesicht umherstreifte. […] An einem Tag wechselte sie die Bilder an den Wänden, an einem anderen verschenkte sie Stühle aus dem Esszimmer, die dereinst so modern gewesen waren, dass sie schließlich aus der Mode kamen. […] Zuletzt vergriff sie sich an ihrem Wohnzimmer, in der Überzeugung, dass es unerlässlich sei, die Bezüge der Sessel auszutauschen. Der Polsterer kam zum selben Zeitpunkt an wie die Zustellung des formellen Scheidungsantrags. Sie legte den Brief beiseite, um sich mit konkreteren Dingen zu beschäftigen als dieser Lieblosigkeit mit neun Buchstaben. Sie blätterte in einem Stoffmusterkatalog auf der Suche nach einer neuen Farbe, und nachdem sie sich für Lindgrün entschieden hatte, rief der Polsterer zwei seiner Gehilfen zu sich, die mit den Möbeln in Richtung Werkstatt aufbrachen. […] Ofelia beobachtete sie beim Weggehen, und ihre Augen folgten der Spur von kleinen Dingen, die zwischen den Kissen herabfielen: ein Knopf, zwei Stecknadeln, ein nicht länger funktionierender Füller, einige Schlüssel von sonst woher, eine Eintrittskarte zu einer Aufführung im Nationalmuseum Bellas Artes, die sie nicht rechtzeitig hatten finden können, ein Brillenband, zwei Mandeln, die mal als Snack gedacht waren, sowie ein doppelt gefaltetes, rosafarbenes Stück Papier, das Ofelia mit derselben Gemütsruhe aufhob, mit der sie bereits den restlichen Plunder aufgeräumt hatte. Sie faltete es auseinander. Darin stand folgende Botschaft in großen und unbeholfenen Lettern: „Mein Herz: Mach dass, was du was du mochtest, was du dir am meisten wünscht, mach dass, was du zu tun entscheidest, mach dass, was dir an besten passt, mach dass, was du als Bestes vier alle hältst“. „Dass?“, entfuhr es Ofelia laut. Ihr Ehemann hatte sie für eine Frau verlassen, die für das Pronomen „das“ die Konjunktion „dass“ verwendete? Für eine, die „an besten“ schrieb und dadurch den Superlativ zerstörte? Für eine, die allen Ernstes in der Lage war, die Präposition „für“ mit der Zahl „vier“ zu verwechseln? Die Orthografie ist eine subtile Form seelischer Eleganz; wer sie nicht hat, kann leben, wo immer er möge. In dem Antrag, den sie unterschreiben sollte, wurde die Scheidung mit der Unvereinbarkeit ihrer Charaktere begründet. „Nichts könnte es besser treffen“, dachte sie. „Orthografie ist Charakter“. Sie unterschrieb. | Entry #8072 Finalist
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Am Ende wurde ihr Mann es überdrüssig, gut mit ihr auszukommen und ging fort, um mit jemand anderem gut auszukommen. In den ersten Tagen spürte Ofelia die Einsamkeit wie Messerstiche und litt dermassen, dass sie zeitweise errötet und zeitweise bleich durch das Haus lief. [...] Eines Tages wechselte sie die Bilder an der Wand, an einem anderen verschenkte sie Esszimmerstühle, die, da sie so modern waren, aus der Mode kamen. [...] Am letzten Tag fiel sie über ihr Wohnzimmer her. Sie war sicher, dass es dringend an der Zeit war, den Stoffbezug der Sessel auszutauschen. Der Polsterer kam zu derselben Zeit zu der man ihr schriftlich den formellen Scheidungsantrag aushändigte. Sie legte ihn zur Seite, um an greifbarere Dinge zu denken als die Lieblosigkeit in neun Buchstaben. Sie blätterte und suchte in einem Musterbuch nach einer neuen Farbe und als sie sich für blassgrün entschied, rief der Polsterer zwei Assistenten, die die Möbel in die Werkstatt abholten. [...] Ofelia sah sie weggehen und folgte mit dem Blick der Spur der Kleinigkeiten, die nach und nach zwischen den Kissen hervorkamen: ein Knopf, zwei Broschen, eine Feder, die nicht mehr schrieb, Schlüssel von wer weiss woher, eine Eintrittskarte in die Schönen Künste, die sie nie rechtzeitig fanden, um sie einzulösen, ein Brillenbügel, zwei Mandeln, die einmal Appetithappen waren und ein rosa Zettelchen, viermal gefaltet, das Ofelia mit dergleichen Gelassenheit aufhob, mit der sie nach und nach den anderen Kram eingesammelt hatte. Sie öffnete es. Da stand eine Nachricht mit grossen und ungenauen Buchstaben, die lautete: „Schatz: Mach was du willst, dass was dir am liebsten ist, mach was du entscheidest, dass was dir am besten passt, mach was du für alle für das beste hehlst.“ „Hehlst“? sagte Ofelia laut. Ihr Mann war mit einer Frau fortgegangen, die „hälst“ von halten schrieb wie „hehlst“ von hehlen? Mit einer, die das Substantiv „das Beste“ kleinschrieb wie ein Adjektiv? Mit jemanden, die es fertigbringt, die Konjunktion „dass“ mit dem Relativpronomen „das“ zu verwechseln? Rechtschreibung ist eine subtile Form der Seeleneleganz, wer diese nicht hat, kann leben bei wem er will. Laut der Briefsendung, die sie unterschreiben sollte, war der Scheidungsgrund die Unvereinbarkeit der Charaktere. „Nichts ist zutreffender als das“, dachte sie. „Rechtschreibung ist Charakter“. Sie unterschrieb. | Entry #7934 Finalist
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